Neues aus dem Haifa-Heim für Holocaustüberlebende

Sprachlosigkeit überwinden

Es ist sehr schwer, sich in einem Land heimisch zu fühlen, dessen Sprache man nicht spricht. Deshalb gibt es im Heim für bedürftige Holocaustüberlebende in Haifa jetzt Hebräisch-Unterricht für die neuen Bewohner aus der Ukraine.

 

Auf der Flucht

Nur einen einzigen Koffer – mehr konnten viele der 17 neuen Bewohner des Haifa-Heims bei ihrer Flucht aus der Ukraine nicht mitnehmen. Manche hatten nur 15 Minuten Zeit, ihre Wohnung zu verlassen. Sie mussten alles zurücklassen, was sie bisher kannten, ihre Häuser, ihre Freunde. Die wenigsten kamen freiwillig nach Israel. Sie konnten bei ihrer Ankunft weder ihren eigenen Namen auf Hebräisch schreiben noch Straßennamen entziffern. Diese erzwungene Sprachlosigkeit machte es fast unmöglich, neue Wurzeln im Land der Vorväter zu schlagen. „Ich will nicht mehr leben“, vertraute eine der Seniorinnen unserer Physiotherapeutin Birgit Kirsch an: „Das Einzige, was mich am Leben erhält, seid ihr!“

 

Sprache der Propheten

Daher beschlossen wir, Hebräisch-Unterricht im Haifa-Heim anzubieten. Unsere neue ICEJ-Mitarbeiterin Maria ist Lehrerin und hat diese Aufgabe übernommen. Den Erfolg dürfen wir täglich erleben: Sobald die Bewohner die hebräischen Buchstaben beherrschen, fangen sie sehr motiviert an, Vokabeln zu lernen. Mit großem Engagement erledigen sie alle „Hausaufgaben“ – und damit öffnet sich für sie die Türe zu ihrem neuen Leben in Israel.

„Wir sind sehr gesegnet, dass wir hier Unterricht bekommen“, bedankte sich jüngst einer der betagten Schüler bei unserem Team. „Viele Menschen haben so lange Anfahrtszeiten für den Sprachunterricht, doch wir können praktisch zu Hause lernen.“ Großes Lob gab es besonders für Maria: „Unsere Lehrerin möchte wirklich, dass wir es schaffen, Hebräisch zu lernen. Das ist so schön!“

 

Dankbare Schüler

Wie wichtig es ist, Hebräisch zu lernen, bestätigen alle Kursteilnehmer. „Es ist nicht wirklich entscheidend, ob wir es fließend beherrschen“, fasste ein Oleh (Neueinwanderer) seine ersten Erfahrungen zusammen: „Das Wichtigste ist, dass wir miteinander kommunizieren, zusammenkommen und eine Gemeinschaft bilden.“ Was er dann noch hinzufügte, berührte uns sehr. „Ihr verlängert durch dieses Angebot unser Leben“, beschied er unserem Team.

Auch eine Seniorin berichtete uns begeistert von ihren ersten persönlichen Erfolgen beim Erlernen der neuen Sprache. „Als der Hausmeister kam, um etwas in meiner Wohnung zu reparieren, bot ich ihm Kuchen an, den er ablehnte“, erzählte uns die fleißige Schülerin: „Doch dann sagte er, dass er gerne ‚Majim‘ trinken würde – Wasser! Ich verstand ihn.“

 

Ellas Erfahrungen

Sprachen sind tatsächlich die Tür zum Herzen der Menschen. Das durfte auch Ella erleben. Ella verstärkt seit letztem Jahr als Hilfskrankenschwester das ICEJ-Team im Haifa-Heim und übt schon jetzt einen positiven Einfluss auf die Bewohner aus. Neben Englisch, Hebräisch und Arabisch spricht Ella Russisch und Rumänisch. Sie erfährt immer wieder, wie sie auf einer tieferen Ebene mit unseren Senioren in Kontakt kommt, wenn sie deren Muttersprache nutzt. „Sie öffnen mir ihr Herz“, berichtet Ella lächelnd. So wie Rivka, eine neue Bewohnerin, die aus Rumänien nach Israel kam. Rivka bat Ella ausdrücklich darum, Rumänisch mit ihr zu sprechen – obwohl die liebenswerte Seniorin Hebräisch bereits perfekt beherrscht. „Ella, sprich Rumänisch mit mir“, bittet Rivka immer wieder. So entstand in kurzer Zeit eine wertvolle Verbundenheit und die Holocaustüberlebende begann, ihre Lebensgeschichte zu erzählen.

 

Rivkas Überlebensgeschichte

Rivka wurde in Iassi (Jassy) geboren, wo sich der größte Pogrom an der jüdischen Bevölkerung in Rumänien ereignete. 1941 wurden hier zehntausend Juden ermordet. Die 85-Jährige erzählte dem ICEJ-Team ihre Überlebensgeschichte.

Vor dem Krieg lebten wir in einem schönen großen Haus, für das meine Großmutter mit Gold bezahlt hatte. Mein Vater arbeitete unermüdlich als Holz-Graveur, er war ein wohlhabender Mann. Als die Deutschen kamen, wurde meine Familie aus dem Haus geworfen und besaß nichts mehr. Nach der Zwangsräumung mussten wir eine Wohnung mieten und mehrfach umziehen. Im Winter 1941 wurde mein Vater in die Stadt Alba Iulia in ein Zwangsarbeiterlager deportiert. Meine Mutter musste sich und ihre drei Kinder allein durchbringen.  

Als mein Vater zurückkehrte, war er sehr krank. Er wog nur noch halb so viel wie früher und war ein gebrochener Mann. Er hatte auch Asthma bekommen, was ihn für den Rest seines Lebens beeinträchtigte.

Nach dem Krieg bekamen wir keine Erlaubnis zur Auswanderung in das Verheißene Land, das damals Palästina genannt wurde. Manche, wie mein Bruder, machten sich trotzdem auf den Weg dorthin. Er durchquerte mehrere Länder. Doch dann verweigerten die Briten ihm die Einreise und brachten ihn nach Zypern.

Unterdessen blieb ich mit dem Rest meiner Familie in der rumänischen Stadt Bukarest. Die Wartezeit war nicht einfach, weil es kaum etwas zu essen gab. 1950 erhielten wir endlich Reisepässe und konnten das Land verlassen. Wir fuhren mit dem Schiff nach Israel, wo wir drei Tage später ankamen. Ich war zwölfeinhalb Jahre alt. Nach unserer Ankunft wurden wir gegen Läuse behandelt und dann nach Atlit geschickt, wo wir in Baracken untergebracht wurden, die früher der britischen Armee gehört hatten. Jede Familie bekam eine Decke. Ich erinnere mich, wie mein Vater zwei leere Orangenkisten organisierte, über die meine Mutter eine Tischdecke legte – das war unser Esstisch. Dennoch sagte mein Vater: ‚Es ist so wunderbar, in Israel zu sein!‘

Wir lebten acht Monate in Atlit, bis man uns nach Tirat HaCarmel brachte, wo wir in einem Zelt wohnten. Danach bezogen wir zwei Jahre lang einen Schuppen, bis wir schließlich eine dauerhafte Wohnung bekamen. Später lernte ich meinen Ehemann Elieser kennen, einen Holocaustüberlebenden, der ebenfalls aus Rumänien kam. Wir lebten in Tirat HaCarmel und bekamen zwei Kinder, die uns vier Enkelkinder schenkten.

Vor zwei Jahren bekam mein Mann eine sehr schwere Form von Demenz und musste in ein Pflegeheim umziehen. Allein zu leben war schwierig für mich, daher traf ich schließlich die Entscheidung, ins Haifa-Heim zu ziehen. Ich hatte über meine Cousine davon erfahren, die bereits seit zehn Jahren hier wohnt.

Ich wurde so herzlich empfangen! Mir fehlen die Worte. Jetzt habe ich bereits eine Freundesgruppe gefunden, mit der ich jeden Tag nach dem Essen zusammensitze. Wir reden über alle möglichen Themen, die uns wichtig sind. Hätte ich schon früher gewusst, wie wunderbar dieses Heim ist, wäre ich schon vor Jahren hier eingezogen!“

 

Bitte helfen Sie uns, den Haifa-Heim-Bewohnern einen Lebensabend in Würde und Gemeinschaft zu ermöglichen. Als Verwendungszweckb Haifa-Heim angeben. Herzlichen Dank!