Die vergessenen jüdischen Flüchtlinge

Die Annahme des Teilungsplans durch die UN-Vollversammlung am 29. November 1947 gilt als wichtiger Meilenstein für die Gründung des modernen Staates Israel. Doch im Nahen Osten löste dieses Votum eine Flüchtlingswelle aus, die bis heute kaum Beachtung gefunden hat. In den Jahren 1947 bis 1979 flohen rund 850.000 Juden aus den arabischen Ländern und dem Iran oder wurden von dort vertrieben.


Staatlich gesteuerte Pogrome

In den 1940er Jahren kam es in vielen arabischen Ländern zu gewaltsamen Übergriffen gegen Juden. In der irakischen Hauptstadt Bagdad, deren Bevölkerung zu knapp 30% jüdisch war, wurden 1941 während der NS-inspirierten Farhud-Pogrome 179 Juden ermordet, rund 2.000 verletzt, verstümmelt und vergewaltigt. Im libyschen Tripoli fielen 1945 etwa 140 Juden, darunter 36 Kinder, einem drei Tage währenden Massaker zum Opfer. In Aleppo (Syrien) wurden 1947 rund 70 Juden ermordet sowie hunderte verletzt.
Die Ursache dieser Judenfeindlichkeit war nicht der Zionismus oder die Gründung des modernen Israel. Antijüdische Pogrome in den islamischen Ländern reichen zurück bis ins Mittelalter, wie 1033 im marokkanischen Fes oder 1066 im muslimisch beherrschten Granada (Spanien). Jahrhundertealte antisemitische Ressentiments, die sich auch in der Rolle der Juden als Bürger „zweiter Klasse“ (sog. Dhimmis) widerspiegelten, bildeten den Nährboden für Hass und Gewalt.


Die vergessenen jüdischen Flüchtlinge

Angesichts der sich zuspitzenden Situation in vielen arabischen Ländern trat der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad in Aktion. Zwischen 1949 und 1950 wurde im Zuge der „Operation Fliegender Teppich“ fast die gesamte jüdische Gemeinde des Jemen, etwa 49.000 Personen, nach Israel gebracht. Die „Operation Esra und Nehemia“, mit der etwa 120.000 irakische Juden innerhalb eines Jahres über Zypern nach Israel ausgeflogen wurden, beendete das babylonische Exil des jüdischen Volkes, das 597 v. Chr. zur Zeit Nebukadnezars begonnen hatte. Fast alle Juden Marokkos, mit rund 265.000 Personen die größte jüdische Gemeinde in der arabischen Welt, verließen das Land bis 1963.
Die Juden Nordafrikas und des Nahen Ostens ließen nicht nur die Orte ihrer Kindheit oder die Gräber ihre Mütter und Väter zurück. Bei der Ausreise wurden sie gezwungen, ihren gesamten Besitz aufzugeben, dessen Wert sich Schätzungen zufolge heute auf rund 300 Milliarden Euro beläuft. Dazu zählt Grundbesitz von mehr als 100.000 Quadratkilometern – einer Fläche fünfmal so groß wie das heutige Israel.


Schwerer Neuanfang in Israel

In Israel angekommen, lebten hunderttausende dieser nun mittellosen Flüchtlinge teils über Jahre in Zelten, Holz- oder Wellblechhütten: der jüdische Staat war gerade erst gegründet worden und die Flüchtlingswelle hatte eingesetzt, bevor die nötige Infrastruktur geschaffen werden konnte. In diesen überfüllten Ma’abrot (Auffanglagern) führten prekäre sanitäre Bedingungen und Nahrungsmittelknappheit zu Krankheiten und einer hohen Kindersterblichkeitsrate.
Viele der nordafrikanischen und orientalischen Juden, Sephardim bzw. Misrachim genannt, fühlten sich im von den aschkenasischen (d.h. aus Europa stammenden) Gründervätern aufgebauten jüdischen Staat nicht willkommen. Jahrzehntelang war die Zeit der Ma’abrot ein wunder Punkt in der israelischen Gesellschaft, und trotz zahlreicher Erfolgsgeschichten ist bis heute eine soziale Ungleichheit zwischen misrachischen und aschkenasischen Israelis zu verzeichnen.
Sephardim und Misrachim machen heute rund 44,9% der jüdischen Bevölkerung Israels sowie rund 50% der Juden Frankreichs aus. Etwa 8.000 Juden leben weiterhin im Iran, 2.000 in Marokko und 1.000 in Tunesien. In den anderen arabischen Ländern ist die jüdische Gemeinde vollends verschwunden.

von Ester Heinzmann